20 Jahre mobiler Schnitt. Vom Kofferschlepper zum „Nerd“.

Ohne den Schnitt ist ein Film seltenst ein sehenswertes Ereignis.
Der Lola Gewinner Viktoria mag da aktuell eine andere Richtung aufzeichnen und in Einzelfällen passt das auch ohne, aber gerade im News Bereich muss ja der Drehtag auf 90 Sekunden Beitrag zusammengestampft werden.
In den Zeiten des 4:3 BetacamSP Kassettenfernsehens war das dann doch sehr aufwändig. Ganze Firmen lebten von der Vermietung von Schnittmobilen.

Das waren Fiat Ducatos oder Mercedes Sprinter die im inneren einen kompletten TV Schnittplatz bestehend aus Bild/Tonmischer, Monitoren, Zuspielern und Recordern beherbergten. Das waren keine kleinen Geräte und ebenso schwer wie teuer.
Nicht selten war Broadcastequipment für eine halbe Million DM (Deutsche Mark) im Auto verbaut.
Die mobilen Schnittplätze wurden dann mit Cutter/Fahrer an TV Sender/Produktionen vermietet und brausten von Newsevent zu Newsevent um vor Ort den Beitrag zu schneiden. Taxler, Assistenten oder der Redakteur selbst eilten dann mit dem Mastertape zum Sender oder nächsten Überspielpunkt – meist ein lokaler TV Sender.
Später kamen die Satellitenwagen dazu, die SNG, dann konnte der Beitrag sofort via Satellit zum Sender gestrahlt werden. Letzteres ist auch heute noch gang und gäbe, auch wenn Dienste wie z.B. FTP immer häufiger werden.

2 Maschinenschnittplatz - Klassischer Newsschnitt im Hotel vor Ort. Irgendwo 1995

2 Maschinenschnittplatz – Klassischer Newsschnitt. Irgendwo im Hotel, 1995

Noch besser war es natürlich einen eigenen Schnittplatz mit dabei zu haben.
Verpackt in Flightcases und damit an jedem Ort der Welt in kürzester Zeit einsatzbereit.
Man brauchte vor Ort nur 220 Volt und eine trockene Aufbaumöglichkeit.
Für damalige Verhältnisse war die Anlage extrem kompakt und für nur 100.000 DM zu haben.
Neben dem Schnitt musste der Cutter auch technisches Verständnis mitbringen. Die Anlage wurde jedes mal neu verkabelt und nicht alles lief gleich nach dem Aufbau reibungslos. Ein wenig Verständnis für die Signalwege war da hilfreich. Ich selbst war damals mit den unhandlichen Kisten in ganz Europa unterwegs.
Es gab nur Hartschnitt, Blenden waren da nicht machbar bei nur einem Zuspieler und ein Videomischer fehlte ohnehin.
Zwei Tonspuren mussten reichen. War Musik im Spiel, dann wurde Atmo auf Kanal1, Musik auf Kanal2 am Master angelegt. Dann beides auf Kanal 2 einer weiteren Kassette gemischt und auf Kanal 2 des Masters zurückkopiert.
Der Sprechertext kam dann auf Kanal 1. Klar oder?

ich

Die wichtigsten Komponenten. Dank der Größe konnte man bei der Abreise kaum etwas vergessen.

Auf Dauer konnte das mit den Sprintern mit Schnittplatz innendrinnen oder den Flightcases im Doppelzentnerbereich nicht weitergehen.
Immer mehr Sender, immer mehr News, immer schneller. Kurze Wege – oder am Besten auf der Fahrt zum Sender schneiden, akkubetrieben.
Parallel kamen neue digitale Aufnahmeformate auf den Markt: Sonys BetacamSX (MPEG.IMX Aufzeichnung) & DVCam (DV) und Panasonics DVCPro (ähnlich DV) schickten sich an BetaSP zu beerben.

Quasistandard BetaSP und die Möchtegernnachfolger BetaSX und DVCPro

Quasistandard BetaSP und die Möchtegernnachfolger BetaSX und DVCPro

Das war so um 1997 herum.

Sony und Panasonic lieferten sich einen heftigen Kampf. Jeder wollte der offizielle Nachfolger des Quasistandards BetacamSP werden. Und so wurden dann auch technische Entwicklungen schnell vorangetrieben.

Der Beginn einer Revolution DNW-220 Schnittplatz

Der Beginn einer Revolution:
Sony DNW-220 Schnittplatz für BetaSX und SP.

Die ersten kompakten Schnitteinheiten tauchten auf.
Der AJ-LT85 von Panasonic für das neue DVCPro Bandformat und der DNW-220 von Sony für BetacamSX. Letzterer hatte den riesen Vorteil, dass BetacamSP Bänder ebenfalls abgespielt werden konnten, da SX und SP Kassetten baugleich waren. Man darf nicht vergessen, fast alle EB Teams drehten noch lange auf Sony BetacamSP Kameras der Typen BVW300 und BVW400.
33.000 US Dollar mussten seinerzeit für den Sony DNW auf den Tisch gelegt werden. Natürlich plus Steuern. Dennoch taten dies sehr viele Firmen und Freiberufler und im Vergleich zu einem Schnittmobil war es geschenkt.
Sony brachte dann noch eine DVCam Variante. Auch der Panasonic AJ-LT verkaufte sich gut. Bald war klar, dass der TV Markt sich in verschiedene Formate aufteilen würde.
Das BetacamSP Quasi-Monopol von Sony war mit Beginn der Jahrtausendwende Geschichte.

DVCPro50 Dreh

DVCPro50 Recorder am Sony Kamerakopf. Da haben beide was verdient.

Sony offerierte DigitalBetacam, BetacamSX und DVCam.

Panasonics Kunden wie das ZDF oder der MDR drehten auf DVCPro und später dem verbesserten DVCPro50.

Alle Formate hatten eines gemein: Sie zeichneten den Film als digitale Daten auf Band auf, die analoge Signalaufzeichnung war tot.

Aber noch immer wurde linear geschnitten, also eine Videosequenz an die andere kopiert. Teile des Filmes „nach hinten Verschieben“, weil man nachträglich eine Filmsequenz einfügen wollte, das ging nur über Bandkopien. Und das kostete Qualität – schon beim dritten Umkopieren erkannte das Auge den Unterschied, da das gro der Schnittplätze analog verkabelt war.
Also vorher denken, dann schneiden war angesagt.
Das sollte sich ändern.

Der AVID betrat die Bühne.
Ein digitales Schnittsystem zunächst nur auf Macintosh Basis, zum Preis eines Luxuswagens mit allen Extras. Der Wagen, nicht der AVID. Unser erster AVID Express Elite hatte VIER Videospuren, lief auf MacOS 7.x und residierte in einem Apple Power Macintosh 9600 mit atemberaubenden 350 MHz CPU Takt. Inklusive Signalwandlerkarten und I/O Karten um die MAZen seriell anzusteuern. Dazu gabe es ein RAID mit 8 GByte Festplattenkapazität.
Die Linearität war überwunden.
Im Computer konnten Clips beliebig hin und hergeschoben werden. Klingt heute banal, sorgte aber damals für feuchte Augen.
Ähnlich war wohl der Umstieg für Büroleute von der Schreibmaschine zur Word Textverarbeitung.
Der AVID Elite kostete damals lässige 95.000 DM netto ohne MAZen und Monitore und war natürlich für den mobilen Schnitt vollkommen ungeeignet.
Erst später tauchten erste Schnittmobile mit AVID auf – zu spät, denn dann …

… kam Steve Jobs zu Apple zurück.
Der brachte nicht nur den iMac, sondern verabschidete sich mit der Knutschkugel von allen bekannten Schnittstellen wie SCSI, Parallel- oder SerialPorts.
USB hielt Einzug und später noch ein superschneller Wunderanschluss für Videogeräte: FIREWIRE (eigentlich von Sony entwickelt). Awesome.

Die DVCam MAZen von Sony brachten Firewire mit

Die DVCam MAZen von Sony brachten Firewire mit

Mit Firewire konnten neuere professionelle Videorecorder (MAZen) angesteuert und die Daten, denn nichts anderes waren ja die Filme, auf den Mac heruntergeladen werden. Alles über ein einziges Kabel! Nochmals awesome.
Alles was es neben dem Mac noch brauchte war das Schnittprogramm. Das hatte Apple praktischerweise von Macromedia abgekauft: Final Cut Pro.
Das schlug so ein, dass sich Adobe mit seinem Schnittprogramm Premiere damals vom Mac Markt verabschiedete.
Jetzt spielen sie ja wieder mit, und das sehr erfolgreich mit ihrer Creativ Cloud.

Endlich digital, aber das Rohmaterial ist noch auf Band

Endlich digital, aber das Rohmaterial ist noch auf Band. FinalCutPro Schnitt während der Fahrt.

Etwa 1000 Mark kostet Final Cut Pro seinerzeit. Ein Schnäppchen. Aber viele AVID Cutter wurden nicht müde das Programm zu verdammen.
Für mich war die Combo Firewire kompatible MAZ, Apple Powerbook G4 und Final Cut einfach nur klasse.
Super kompakt, sofort aufgebaut, akkubetrieben, voll digital – Grenzen setzte nur das eigene Wissen.
Der digitale Schnitt wurde endlich mobil. Dazu Soundbearbeitung, Photoshop und viele andere Tools.
Ständig wurde die Software weiterentwickelt.

Dann kam doch noch mal das Flightcase, für den iMac. Der hatte mehr Power und Bildschirmfläche. Dieses Bild wurde in einem Hotelzimmer in Mexiko aufgenommen.

Dann kam doch noch mal das Flightcase, für den iMac. Der hatte mehr Power und Bildschirmfläche. Dieses Bild wurde in einem Hotelzimmer in Mexiko aufgenommen.

Aber es dauerte dann doch noch eine ganze Weile, bis die Bänder endlich ausgedient hatten.

Erst musste High Definition, kurz HD kommen.
Zunächst als HDCam von Sony und DVCProHD von Panasonic. Beide nutzten abermals das Band als Speichermedium.
Dann aber preschte Panasonic mit dem P2 System vor.
Ein selbst entwickelter Flashspeicher anstelle des Bandes für eine neue Generation von SD und HD Kameras der P2 Serie.
Klasse gedacht, aber zu teuer. Die ersten hatten 2 GigaByte, kosteten knapp vierstellig und brachten 4 Minuten Video unter.
Aber das Interesse der Branche an einem digitalen Medium war geweckt und jetzt gelang Sony der Coup um 2009.

Professional Disc und P2 Karte

Professional Disc und P2 Karte

Der zunächst mit mäßigem Erfolg mit SD Kameras eingeführten Professional Disc gelang es, auch dank der ebenfalls neuen HD Kamera PDW700 (inkl. Firewire, damit als Zuspieler nutzbar), das Band abzulösen.
Die Professional Disc ist eine Bluray im Caddy für 40 Minuten HD Film zu 20 Euro. Dazu lieferte Sony ein USB Lesegerät für den PC und Mac Schnittplatz.
2011 brachte Apple dann auch endlich seine neue Version von Final Cut X auf den Markt und erntete einen der grössten Shitstorms in seiner Geschichte.
Das Programm war komplett neu gestaltet und programmiert.
Die gesamte Bedienphilosophie wurde umgestaltet und Bandmaschinen, also MAZen, zur Ein- und Ausgabe wurden nicht mehr unterstützt.
Alle die da Aufschrien, und es ware nicht wenige, hatten nicht verstanden wohin die Reise geht.

Nahe an der Perfektion. MacBookPro, FinalCut X und ein XDCamHD USB Drive.

Nahe an der Perfektion. MacBookPro, FinalCut X und ein XDCamHD USB Drive für die Professional Disc.

Was folgten waren Kameras mit SxS, SD, SSD, CFast und was weiss ich Aufzeichnungsmedien. Keiner brauchte mehr eine MAZ, Kassetten wurden Kistenweise bei ebay verhöckert.
Heute reicht eine Software, ein Laptop mit dem jeweiligen Lesegerät und einer externen Festplatte – fertig ist der Schnittplatz, dank Internet auch gleich PlayOut Station.

In der Hotellobby, bei einem Glas Wasser, so passt es.

In der Hotellobby, bei einem Glas Wasser, so passt es. Dank flottem WLAN im Hotel geht der Beitrag dann auch gleich per FTP zum Sender.

Die Technik ist nur das Hilfsmittel. Schön, dass sie so kompakt, erschwinglich und leistungsfähig geworden ist.
Den Rest erledigt der Cutter, aber der machte schon immer den Unterschied.

iFear und die Angst um die Professionalität.

Angst essen Seele auf.
Das Heulen bei uns in der Branche ist immer gross wenn vom iPhone als Kameraequipment die Rede ist. In den USA ist es ja hip auf dem iPhone zu drehen. Die Zubehörinstrie boomt. Über Optiken, Rigs, Drohnen, Tonkits bis hin zu Gimbal Systemen ist alles da.
CH1Aber in Germania?
Hier gilt bei vielen die in der gebührenfinanzierten Medienwelt gross geworden sind immer noch:
Professionell ist nur was teuer ist. Weil, weil, weil – weil es schon immer so war.
Her mit der 50.000€ Cam und der 30.000€ Optik.

Dabei brachte diese Denkweise schon die RED One erstmals ins Wanken.
Die RED One wurde für 10.000 US Dollar damals angeboten. Der Preis war weit vor der Auslieferung fix, von der Cam existierten nur MockUps und viele Gerüchte.

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RED one – der Beginn einer Revolution

Niemals könne man mit sowas drehen“ „Bei dem Preis = Mist
Ich kann mich noch an die Diskussionen erinnern. „Das mit RED wird nix“ war die vorherrschende Meinung im technikverliebten Germania. Ein Brillenhersteller wagt sich daran eine Kamera zu bauen – hör mir auf!
Und heute? RED hat sich ein ordentliches Stück Kuchen vom Markt abgeschnitten. Firmen wie Arri, Sony, Panasonic bleibt oft nur der Kaffee beim Kränzchen.

Immer noch (2014) wird argumentiert, dass professionelles Equipment nur dann professionell ist, wenn es ordentllich was kostet.
Die enormen Preise für Film- & Broadcastequipment (wir erinnern uns – eine DigiBeta MAZ kostete seinerzeit fas 100.000 DM) sorgten dafür, dass man unter sich blieb.

Mit dem Wegfall der Laufwerksmechaniken, die einerseits patentrechtlich geschützt und andererseits ja wirklich viel KnowHow beherbergten, änderte sich das über Nacht.
Den Stein ins rollen brachten die filmenden Fotoapparate. Der Umstieg auf bandlose HD Aufzeichnung brachte zudem neue Player.
Heute braucht es einen Chip, eine Elektronik die ihn ausliesst, ein Betriebssystem und ein schnelles Speichermedium – alles mehr oder minder EDV Handelsware.
Die Preise sind im freien Fall und die Innovationszyklen entsprechen denen der Computertechnik.

Gleiches gilt für die Postproduktion.
Das Schnittprogramm FCPX zum Beispiel kostet keine 300 € plus 2000€ für den passenden iMac (1998 habe ich für einen PowerMac mit AVID Elite 95.000 DM gelöhnt), ergo ist es nach konservativer Altprofimeinung ein Spielzeug.
Was natürlich Blödsinn ist. Die Software lässt Avid und Co alt aussehen, sofern man sich auf die neue Denkweise der Entwickler einlässt.
Hier läuft sie seit Beginn und es macht jeden Tag Freude. Vorallem auf dem neuen MacPro ;). Freude machen heisst auch hier Geld einspielen.

Denn, was immer vergessen wird – nicht die Kamera macht die Bilder, die Schnittsoftware den Film, es sind die Köpfe dahinter. Ein guter Mann mit iPhone bringt bessere Ergebnisse als ein Möchtegern DoP an der Alexa oder RED.
Wenn der gute Mann dann natürlich auch noch die besten Optiken, die beste Aufzeichnungstechnik und Postpro hat, dann wird es natürlich noch besser.

Aber – das iPhone/iPad als HD Aufnahmetool halte ich für überlegenswert. Jede Technik findet ihre Nische.
Gerade im aktuellen Bereich der TV Landschaft, die heute von Handhelds wie der PMW200 oder den Panasonic Henkelmännern dominiert wird kann man mit dem iPhone, der richtigen App und einer Aufsatzoptik sehr gute Ergebnisse erzielen.
Wenn es darum geht NEWS schnell umzusetzen – warum nicht mit dem iPhone?

Hase_auf_Ipad

iPad mit iMovie App und Blockbuster – schneiden vertonen versenden

Ich selbst drehe und schneide immer wieder Filmchen auf dem iPad – nur zum Spass bisher. Aber es geht erstaunlich flott. Auch Interviews und Nachvertonungen sind problemlos machbar.

Solange der Kopf die Ideen hat muss der sich keinen um die neue Technik machen.